BÄM ODER BOING!

BÄM ODER BOING!

Ein Gespräch mit Werner Haumayr, Vice President BMW Group Design Concept and Integration and New Cluster Architecture Experience

»Von der Flöte zur Oboe, vom Schlagzeug zum Klavier, von der Geige zum großen Ganzen«. Wenn Werner Haumayr über die Vielfältigkeit von Design- und Innovationsaufgaben spricht, die ihn in seiner Karriere geprägt haben und »interdisziplinäres und zugleich ganzheitliches Denken befördern«, dann vergleicht er die einzelnen Rollen und das Zusammenspiel seines Teams gerne mit dem eines Orchesters. Heute gehört es zu seinen Aufgaben, sich neue Stücke auszudenken, »für die es vielleicht noch gar keine Instrumente gibt – also Szenarien aufzubauen, die neue Möglichkeiten und damit Zukünfte antizipieren. « Dabei hat Haumayr selbst in seinen vierzig Jahren bei der BMW Group kaum eine Aufgabe ausgelassen: vom Lehrling im Modellbau über das Produkt-Modeling und die Software-Entwicklung bis hin zur Innovationsorchestrierung im Design. Ein Werdegang, der nicht nur viel über persönliche Neugier und Offenheit erzählt, sondern genauso viel über Kultur und Spirit im Unternehmen.

Design für die Mobilitätsgesellschaft von morgen

Seit Ende der 90er Jahre kreisen Haumayrs Gedanken immer wieder um eben jenen einen Schritt voraus, er entwickelt Visionen von Mobilität, von Zirkularität, von Design und Digitalität. Dafür holt er sich systematisch Menschen aus aller Welt als Dialogpartner mit an Bord, die durch ihre besondere Sicht auf die Welt international von sich reden gemacht haben. Mit ihnen diskutiert er nicht nur technische, sondern auch kulturelle Fragen, denn »Interaktionen, zum Beispiel über Symbole oder Gesten, die in einer Kultur gut funktionieren, können in einer anderen Kultur extrem negativ belegt sein … Wir bieten ja Produkte für die ganze Welt an – müssen also immer den Sweet Spot zwischen unterschiedlichen Bedürfnissen, Sichtweisen und kulturellen Eigenarten erwischen.«Drei bis fünf Jahre wird in diesen »Infights«, wie Haumayr diese Dialogrunden liebevoll nennt, nach vorne geblickt und verschiedenste Szenarien für die Zukunft der Mobilität entwickelt. Dem Design kommt dabei eine wesentliche Bedeutung zu, bei der auch der Wandel der Rolle des Designs in der Gesellschaft unmittelbar deutlich wird. Die reine Lehre von »Form follows Function« ist vorbei, da ist sich Haumayr sicher.

»Ich glaube, es geht um ›Design follows Experience‹. Design ist nicht die schöne Oberfläche. Design muss es schaffen, relevant zu sein, als Erfüllung eines Erlebnisses, das eine Bedeutung hat und in dessen Mittelpunkt der Mensch steht.«

Das ist Haumayrs Credo und darüber kommt auch dem BMW Slogan »Freude am Fahren« eine neue Bedeutung zu, denn mit Fahren ist heute nicht mehr nur die »Querbeschleunigung « gemeint, wie Haumayr im Autobauer- Slang das Zusammenwirken von PS, Drehzahl und Fliehkraft nennt, sondern das Auto als Gesamterlebnis und mobiles Environment mit der Fahrgastzelle im Mittelpunkt. »Wenn Sie nur mal sehen, wie viel Zeit pro Jahr Menschen in ihrem Auto verbringen – wer hat denn schon den Luxus, dass der Kunde so viel Zeit mit seinem Produkt verbringt? Wir nehmen das sehr ernst, denn es geht nicht nur ums Fahren, es geht darum, dass sich die Menschen wohl fühlen. Es geht also auch um Entertainment und darum, dass sie ihre Dinge machen können, wenn sie mal im Stau stehen. Und wenn sie fahren, dann sollen sie Kontrolle und natürlich auch Spaß am Fahren haben.« Ein technologischer Schlüsselbegriff für diese neue Freude am Automobil ist »Seamlessness «, Nahtlosigkeit, mit der der fließende Übergang von digitalen Devices wie Smartphone oder Tablet zum Bordcomputer des Autos und umgekehrt gemeint ist. »Das muss noch viel, viel menschlicher werden«, ist Haumayrs Überzeugung. »Es muss leichter und einfacher werden, und hier setzen auch die Forschung und Entwicklung zukünftiger digitaler Kommunikation an.«

Elektrisch und individuell für die urbane Avantgarde

Und natürlich spielt bei den Zukunftsszenarien, für die Haumayr verantwortlich zeichnet, auch die Elektromobilität eine herausragende Rolle. Im vergangenen Jahr sorgte bei der IAA, der Internationalen Automobilausstellung in München, ausgerechnet ein Zweirad für Furore, das nicht nur die bisherigen Vorstellungen davon sprengt, wie ein Pedelec aussehen könnte, sondern gleich auch noch den bestehenden rechtlichen Rahmen für die Zulassung eines so hochmodernen Fahrzeugs: das High-Speed Pedelec BMW i Vision Amby, ein Herzensprojekt des leidenschaftlichen Fahrradfahrers Haumayr. Drei Grundgeschwindigkeiten bietet dieses Fahrzeug an, 25, 40 und 60 km/h, wobei mit dem hochmodernen Geofencing-Verfahren ermittelt wird, ob man sich auf dem Fahrradweg bewegt, auf einem Feldweg oder auf der Straße. Dementsprechend wird die Höchstgeschwindigkeit automatisch angepasst. Fahrrad oder Leichtmotorrad? Das könnte hier die Frage sein. Für Haumayr spielen solche Kategorien indes keine Rolle mehr: »Überall brechen scheinbar feste Kategorien auf – und das ist gut.«

»In Zukunft sollen nicht Einteilungen wie Auto, Fahrrad und Motorrad bestimmen, was wir denken, entwickeln und anbieten. Vielmehr gibt uns dieser Paradigmenwechsel die Möglichkeit, Produkte an den Lebens- und Fortbewegungsgewohnheiten von Menschen auszurichten.«

Ob sich der Gesetzgeber einen Ruck gibt und die Rahmenbedingungen für die Mobilität von morgen neu justiert, wird sich weisen. Es bleibt nur zu hoffen, dass das neue Mobilitätsdenken eines Werner Haumayr, in dem Hochtechnologie und Nachhaltigkeit zusammenspielen, nicht durch eine rückwärtsgewandte Bürokratie ausgebremst wird – auch dies eine Frage des Horizonts. Haumayr selbst vergleicht seinen Roadtrip in die Zukunft auf seine eigene, humorvolle Weise mit der Besichtigung eines Gebäudes: »Was erwartet mich da? Hinter jeder Tür kann eine neue Welt liegen oder schlichtweg nur die Besenkammer«. Oder anders formuliert: »Man muss sich darauf einlassen, dass man durch eine Tür geht, wo es entweder Bäm macht oder Boing!«

Werner Haumayr

»Vorausdenken« heißt die Domäne von Werner Haumayr, der das Designcredo »Form follows Function« längst hinter sich gelassen hat. Wenn er in die Zukunft schaut, geben die sich wandelnden Lebensgewohnheiten die Richtung vor. Mit dem Menschen im Mittelpunkt spielen dann Nachhaltigkeit und Hochtechnologie, Kultur und Digitalität zusammen.

BMW Group

Mit den vier Marken BMW, MINI, Rolls-Royce und BMW Motorrad ist die BMW Group der weltweit führende Premiumhersteller von Automobilen und Motorrädern. Das Unternehmen stellt Nachhaltigkeit und effizientes Ressourcenmanagement konsequent in den Mittelpunkt seiner strategischen Ausrichtung – von der Lieferkette über die Produktion bis zum Ende der Nutzungsphase. Die BMW Group verfügt über ein globales Vertriebsnetz in mehr als 140 Ländern.

Mehr Informationen zu BMW Group Design unter bmwgroup.com

Das Gespräch mit Werner Haumayr  erschien erstmals im mcbw MAG im Rahmen der mcbw 2022.